Das Mädchen aus San José
Posted by SchwarzbartApr 18
Tief in der Karibik segelte einst ein Pirat, der unter dem Namen David Roux zu sehr viel Ruhm gekommen war. Doch so begnadet Roux auch war, so unersättlich und grausam wurde er mit der Zeit. Und aus dem einstigen Ruhm, den er in der Karibik genoss, wurde Furcht, und die Legenden, die man über ihn erzählte, wurden zu Schreckensgeschichten.
So kam es, dass ein kleines Küstenstädtchen namens San José, dem Piraten David Roux und seinen Männern den Zutritt verweigerte. Roux, der seine Vorräte auffüllen wollte, war außer sich vor Zorn, und in seiner unbändigen Wut wies er seine Männer an, das Städtchen nieder zu brennen und niemanden zu verschonen.
Der Widerstand der tapferen Bewohner war zwecklos. Innerhalb weniger Tage stand kein Stein mehr auf dem anderen und keine arme Seele war mehr am Leben. Nur ein kleines Mädchen erblickten die Männer von Roux plötzlich zwischen den brennenden Hütten. Mit aufgerissenen Augen starrte es Roux an. „Ich bitte dich, David Roux, lass mich am Leben.“, sagte es.
Doch Roux schüttelte den Kopf. Niemand, hatte er geschworen, dieser Stadt würde mit dem Leben davon kommen.
Ein zweites Mal bat das Mädchen um Gnade: „David Roux, was ist mit deinen Männern? Sollen sie sich noch mehr versündigen?“
Aber auch dieses Mal war Roux nicht zu erweichen.
Da bat das Mädchen ein drittes Mal um sein Leben. „Bedeutet dir deine Seele so wenig, David Roux, dass du sie einfach so dem Teufel schenkst?“
Jetzt lachte Roux. „Meine Seele mag der Teufel gerne haben!“, höhnte er. „Soll er mir ein gutes Schiff dafür geben!“ Und nachdem er diese Worte gesprochen hatte, zückte er sein Messer und vollzog die Schandtat eigenhändig.
Nachdem sie alles mitgenommen hatten, was von Wert gewesen war, kehrten die Piraten wieder an Bord ihres Schiffes zurück und segelten mit der Flut aufs Meer hinaus.
Doch in der Nacht hörte Roux einen lauten, angsterfüllten Schrei. Mit gezücktem Säbel stürmte er aus seinem Zimmer und sah, wie die Mannschaft aufgebracht sich um etwas versammelt hatte. Roux trat näher, und für einen Moment gefror sein Blut. Vor ihm stand, im kalten Mondlicht und in den selben blutgetränkten Kleidern, in denen er es zurückgelassen hatte, das Mädchen aus San José. Als es Roux erblickte, lächelte es sanft.
„Drei Mal habe ich dich gebeten, mir mein Leben zu lassen. Drei Mal hast du dich nicht erweichen lassen. Deine Seele wolltest du dem Teufel schenken, hast du gesagt. Nun, David Roux, der Teufel lässt dir seine Grüße ausrichten – er ist mit dem Tausch einverstanden.“
Und noch während es sprach, begann sich das Wasser aufzubäumen, Blitz und Donner zogen über Roux‘ Schiff auf. Regen, so hart wie Steine, prasselten auf die Seemänner nieder, von denen nie einer einen höllischeren Sturm erlebt hatte. Die Bretter des Schiffs begangen zu bersten und nach nur wenigen Augenblicken trieben seine Reste im Wasser, genau wie Roux und seine Männer, die jetzt verzweifelt in den Wellen um ihr Leben kämpften. Einen nach dem anderen sah Roux im schwarzen Wasser verschwinden, bis nur er selbst noch übrig war. Drei Tage soll Roux sich über Wasser gehalten haben, dann verließen auch ihn die Kräfte und er sank kraftlos und erschöpft, tiefer und tiefer, bis vollkommene Dunkelheit ihn umfangen hatte. Doch als sein Herz den letzten Schlag gemacht hatte, griff eine knöchernde Hand nach ihm und zog ihn wieder nach oben, an die Oberfläche, und sie zerrte ihn an Bord eines Schiffes.
Roux, der erst jetzt wieder die Augen öffnete, erkannte nun, welchen Tausch er eingegangen war. Für seine Seele hatte er ein Schiff erhalten, ein mächtiges mit schwarzen Segeln, das am Tag verschwand und in der Nacht wiederkehrte. Der einst mächtige und freie Pirat war nun ein Diener des Teufels, in dessen Namen er Angst und Schrecken verbreiten musste. Und damit er niemals vergessen konnte, weswegen er zu diesem ewigen Schicksal gezwungen wurde, hatte der Teufel dem Schiff den Namen „Das Mädchen aus San José“ gegeben.
Und während Roux nun nachts mit seinem Geisterschiff sein Unwesen auf dem Meer treibt, singen die Piraten abends in den Bars und Kneipen der Karibik, wenn ihnen Grog und Rum zu sehr ins Hirn gestiegen sind, manche Lieder über ihn. Eines davon ist uns überliefert worden.